#man machine

LIVE
»Wenn man heute eine Art Volksabstimmung über die wichtigsten philosophischen Kategorien veranstalte

»Wenn man heute eine Art Volksabstimmung über die wichtigsten philosophischen Kategorien veranstalten würde, so wäre sicher der Mensch an erster Stelle genannt. Und daß es nur auf den Menschen ankomme, das wird man ja heute überall, vom Betriebsausflug bis zu der Vorlesung, wiedergekäut finden, als ob nicht bereits die Wiederholung das tiefste Mißtrauen erwecken müßte. Ich glaube, daß diese unsägliche Betonung des Wortes Mensch – wie sie übrigens der Zeit der humanistischen Bewegung, etwa der Zeit von Wilhelm von Humboldt, gänzlich fremd gewesen ist; Sie werden weder bei Humboldt noch bei Fichte noch bei Hegel den Ausdruck Mensch mit irgendeiner derartigen Emphase, mit irgendeinem derartigen Tremolo ausgesprochen finden; sondern weil das Substantielle hier überall der Geist oder die Idee ist, erscheint der Mensch einfach als das was er ist, nämlich zunächst einmal als das biologische Gattungswesen –, und zu so etwas Geweihtem ist er dann erst geworden, nachdem etwas anderes Sinnvolles nicht mehr übrig ist und die Profanität gewissermaßen zu ihrem eigenen Sakralbereich verdoppelt werden muß. Ich würde sagen, daß eben deshalb, weil es in der Welt, in der wir leben, auf den Menschen – und schon dieses derMensch, schon dieser Singular ist in einer Welt von gespaltenen Interessen und in einer Welt, in der es so etwas wie ein Gesamtsubjekt überhaupt nicht mehr gibt, eigentlich eine Ideologie und ein Schein – überhaupt nicht ankommt, eben deshalb ununterbrochen von dem Menschen und dem Dasein gesprochen wird; daß deshalb immer gesagt wird, daß alles auf den Menschen ankommt. Und jeder einzelne von uns, die wir hier sitzen oder stehen, kann es an sich erfahren, daß wir in einem unendlichen Maß herabgesetzt sind zu bloßen Funktionen einer übermächtigen Apparatur und daß wir das, was wir als unsere eigene menschliche Bestimmung betrachten können, überhaupt dieser Apparatur höchstens noch ablisten können – und was es dann mit einer solchen Bestimmung für eine Bewandtnis hat, die eine gewissermaßen gestohlene menschliche Bestimmung ist, das brauche ich nicht weiter auszuführen. Mit anderen Worten: alles das, das ganze Pathos, das sich an Worte wie Mensch und Daseinsanalyse und all das anschließt, ist im Grunde ein lucus a non lucendo im allerwörtlichsten Sinn, nämlich der Beweis dafür, daß es den Menschen eigentlich nicht gibt; er wird nur deshalb von der Philosophie sozusagen auf dem Markt ausgeboten, damit die Menschen auf diese Weise über ihre eigene Entmenschlichung sich betrügen können. Sie werden nur deshalb als Subjekte zum Sinn ihrer eigenen Existenz verklärt, weil sie in Wahrheit keine Subjekte, sondern weil sie Apparate sind.«

|||Theodor W. Adorno,Ontologie und Dialektik


Post link
loading